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2020

Pressemitteilung zum IPReG (2. Referentenentwurf vom 21.01.2020)

Das Bundesgesundheitsministerium plant Mitte Februar im dritten Anlauf ein Gesetz zur Stärkung der Intensivpflege (vormals RISG) in das Bundeskabinett einzubringen. Der letzte Referentenentwurf vom 05.12.2019 war am Wiederstand der Behindertenbeauftragten von Bund und Ländern gescheitert. Aber auch die erneute Überarbeitung sieht das vom Deutschen Behindertenrat geforderte uneingeschränkte Wunsch- und Wahlrecht von Wohnort und Wohnform nicht vor. Der Entwurf entpuppt sich bei genauer Betrachtung erneut als Mogelpackung.

Um es gleich vorweg zu nehmen: für die Interpretation und Bewertung des überarbeiteten Referentenentwurfes IPReG (2) vom 21.01.2020 bedarf es einer rechtlichen Überprüfung, die hier nicht geleistet werden kann. Aber genau darin liegt vielleicht das zentrale Problem dieses neuen Entwurfes, der insbesondere in seiner Begründung gänzlich anders argumentiert als die vorangegangenen Fassungen.

Die sehr weit gefassten Formulierungen geben nicht nur bei der Beurteilung des Gesetzentwurfes, sondern auch bei der Gesetzesauslegung nach einem Inkrafttreten Anlass zu juristischen Prüfungen. Angesichts der Dauer juristischer Verfahren und der im Gesetz geforderten jährlichen Neubewertung der Voraussetzungen für die vom Versicherten gewünschte Versorgung eine absurde Vorstellung.

Was also sieht der überarbeitete Referentenentwurf im Einzelnen vor? Das IPReG (2) räumt den Versicherten mit einem Anspruch auf außerklinische Intensivpflege eine freie Wahl des Leistungsortes ein. Diese Wahlfreiheit unterliegt jedoch weiterhin einer Einzelfallprüfung durch den Medizinischen Dienst, um die Voraussetzungen für eine Leistungserbringung festzustellen. Der Leistungsanspruch ist insbesondere in der eigenen Häuslichkeit des Versicherten regelmäßig, mindestens jährlich neu zu
prüfen. Abschließend befinden hierüber jeweils die Krankenkassen.

Als Prüfkriterium gilt, dass: „die medizinische und pflegerische Versorgung an diesem Ort tatsächlich und dauerhaft sichergestellt werden kann. Dabei sind die persönlichen, familiären und örtlichen Umstände zu berücksichtigen“ (§37c Abs.2). Laut Begründung ist hiermit die Gewährleistung einer kontinuierlichen
Versorgung im Pflegealltag gemeint. Das ist grundsätzlich im Interesse des Versicherten, allerdings bleibt völlig offen, welche Akteure hier vom Gesetzgeber in der Handlungspflicht gesehen werden. Soll die Wohnortwahl und damit die Lebensperspektive der Betroffenen von der jeweils aktuellen Personalausstattung des Pflegedienstleisters abhängig gemacht und mindestens jährlich neu in Frage gestellt werden? Oder sollen die Krankenkassen von Ihrer Rechtspflicht, die vom Gesetzgeber geforderte Versorgung sicherzustellen, im Bereich der häuslichen Versorgung entbunden werden? Oder ist mit den „persönlichen, familiären und örtlichen Umstände“ gemeint, dass die Familienangehörigen die Leistung selber erbringen sollen?

Angesichts der wenigen inhaltlichen Ergänzungen zum Gesetzestext in der Begründung fallen zwei Aussagen deutlich ins Gewicht:

1. Vor dem Hintergrund des bestehenden Fachkräftemangels in den Pflegeberufen ist es wichtig, die vorhandenen Fachkräfte möglichst so einzusetzen, dass allen Versicherten eine bestmögliche Versorgung ermöglicht wird. Die stationäre Versorgung, die grundsätzlich einen effizienten Einsatz des vorhandenen Pflegepersonals ermöglicht, soll daher gestärkt werden. (S.29)

Hier wird deutlich, dass die Versorgung in der eigenen Häuslichkeit weiterhin einem Vorbehalt unterliegt, der bei der Feststellung der Voraussetzungen für dengewünschten Leistungsort besonders kritisch geprüft werden soll. Weiterhin wird unterstellt, dass Pflegekräfte unabhängig von ihren Interessen und Neigungen beliebig eingesetzt werden können, was sich Angesicht der hohen Zahl von Berufsaussteigern bereits in der Vergangenheit als tragischer Irrtum erwiesen hat.

2. Durch Regelungen zur Leistungserbringung durch besonders spezialisierte Leistungserbringer soll die zeitweise Versorgung durch Familienangehörige, wie sie gerade durch Eltern bei intensivpflegebedürftigen Kindern in der Praxis häufig geleistet wird, nicht ausgeschlossen werden. (S. 39)

Diese Erkenntnis ist eine wichtige Neuerung gegenüber den früheren Entwürfen. Familienangehörige müssen auch weiterhin die Möglichkeit haben ohne die Anwesenheit familienfremder Personen Zeit mit ihren erkrankten Kindern, Partnern oder Eltern verbringen zu können. Angesichts des unter Punkt 1. angesprochenen Fachkräftemangels und der als Voraussetzung für die häusliche Pflege zu prüfenden „persönlichen und familiären Bedingungen“ kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass die Einwilligung in eine Versorgung durch Familienangehörige in nicht näher definiertem Umfang von den Krankenkassen zum Prüfkriterium erhoben wird.

Die Unwägbarkeiten des sehr interpretationsoffen gehaltenen Gesetzentwurfes sollen durch die Ausarbeitung von Rahmenempfehlungen innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes weiter konkretisiert werden. Allerdings fehlt in der Begründung eine Zielformulierung für die jeweils nach Altersgruppen gesondert aufzustellenden Rahmenempfehlungen.

Das hierfür zuständige Gremium besteht aus Interessensvertretern von Krankenkassen, vollstationären Pflegeeinrichtungen, Pflegediensten und dem medizinischen Dienst. Hier kann nicht erwartet werden, dass andere als die im Gesetz ausdrücklich benannten Ziele eine weiterführende Berücksichtigung finden. Da die Versicherten keine eigene Interessensvertretung bei der Beratung und Verabschiedung der Rahmenempfehlungen haben, müssen zu ihrem Schutz mindestens in der Begründung vom Gesetzgeber wesentliche Schutzziele ausdrücklich formuliert werden. So ist das im Vorgängerentwurf formulierte Ziel, die Lebensqualität der Betroffenen durch eine Versorgung in der eigenen Häuslichkeit zu erhalten auch weiterhin zu berücksichtigen.

Auch darf es Versicherten, bei denen auf Grund der Art ihrer Erkrankung eine langfristige Verbesserung ihres Gesundheitszustandes nicht zu erwarten ist, z.B. bei fortschreitender Muskelerkrankung, hohem Querschnitt oder anhaltenden Erkrankungen seit dem Kindesalter, nicht zugemutet werden, dass überihre Lebensform und Lebensperspektive gegen ihren Willen regelmäßig neu verhandelt wird. Zur Stärkung der Versorgungsstruktur der Versicherten gehört zwingend auch eine verbindliche und langfristige Leistungszusage. Die Kontrolle der Leistungsqualität muss dadurch nicht eingeschränkt werden.

Der Gesetzgeber muss daher klare Formulierungen finden, die es den Versicherten mit einem Anspruch auf außerklinische Intensivpflege ermöglicht, eine Lebensperspektive zu entwickeln, die langfristige Entscheidungen zur Wahl des Wohnortes, der Form der Teilhabe am sozialen Leben und dem Aufbau von
dauerhaften Beziehungen beinhaltet.

Angehörige, die in die Sicherung der medizinischen und pflegerischen Versorgung angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels schon heute in oftmals unzumutbarem Umfang eingebunden werden, müssen wirksam und nachhaltig entlastet werden.

Und Schließlich muss der Leistungsbereich der häuslichen Intensivpflege als gleichberechtigte Fachrichtung in die Pflegelandschaft integriert werden. Durch die konsequente Anpassung der Lohnstruktur und die Sicherstellung einer angemessenen Vergütung der Leistungserbringer kann nicht nur die Versorgungssicherheit in diesem Bereich verbessert, sondern auch der weiteren Abwanderung von Fachkräften, die sich dem enormen Zeit- und Kostendruck im Klinikalltag nicht mehr gewachsen sehen, wirkungsvoll begegnet werden.

Solange diese Aspekte nicht zum zentralen Bestandteil der Gesetzesvorlage werden, bleibt die vom BMG propagierte Stärkung der Intensivpflege eine Mogelpackung, die in höchstem Maße schutzbedürftige Menschen dem weiten Ermessensspielraum der Kostenträger hilflos ausliefert.

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